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Was, wenn die EU Wladimir Putin nicht anerkennt?

7. Mai 2024

Das Europaparlament fordert, Wladimir Putin nicht als rechtmäßig gewählten russischen Präsidenten anzusehen. Welche Auswirkungen wird ihre Forderung in der EU haben?

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Portrait von Wladimir Putin, der vor zwei Mikrofonen steht
Wladimir Putin wurde im Jahr 2000 erstmals Präsident RusslandsBild: Vyacheslav Prokofyev/TASS/dpa/picture alliance

Am 7. Mai 2024 wird Wladimir Putin mit einer Zeremonie offiziell in das Amt des Präsidenten der Russischen Föderation eingeführt. Doch was die Rechtmäßigkeit und die Art und Weise angeht, wie Putin für eine fünfte Amtszeit als Präsident wiedergewählt wurde, stößt im Westen auf scharfe Kritik.

So sagte der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, dass die Präsidentenwahl am 17. März 2024 demokratischen Standards nicht entsprochen habe und "in den besetzten Gebieten der Ukraine illegal abgehalten" worden sei. Ihm zufolge wurden diese Wahlen von "repressiven Gesetzen" bestimmt, vor dem Hintergrund der Verfolgung von Oppositionsführern, Vertretern der Zivilgesellschaft und Journalisten und "unter dem Druck einer Flut von Desinformation, Propaganda und in Ermangelung eines Zugangs zu unabhängigen Medien" abgehalten. "Es wäre ironisch, dies als Wahl zu bezeichnen", betonte der EU-Chefdiplomat. Aber bedeuten diese Aussagen, dass die Europäische Union Putin nicht offiziell als Präsident anerkennt?

Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik sitzt vor einem Mikrofon und gestikuliert mit seiner rechten Hand. Im Hintergrund sind die zwölf Europasterne zu sehen.
Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep BorrellBild: Alexandros Michailidis/European Union

Entschließung des EU-Parlaments nicht bindend

Von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) war als erstes zu hören, Putins Präsidentschaft sei illegitim. Am 18. April forderte die PACE während ihrer regulären Sitzung die Mitgliedsländer des Europarats und der Europäischen Union auf, Wladimir Putin nach dem Ende seiner aktuellen Amtszeit als Präsident nicht mehr als legitim zu betrachten und alle Kontakte mit ihm zu beenden, mit Ausnahme solcher im humanitären Bereich, "die auf das Streben nach Frieden abzielen". Da die Entschließungen der PACE jedoch nur empfehlenden Charakter haben, ändert dies offiziell nichts an den Beziehungen der Mitgliedsländer des Europarates zum Kreml.

Eine Woche später verkündete das Europäische Parlament auf EU-Ebene eine ähnliche Position. In seiner Entschließung fordert es außerdem, "das Ergebnis der russischen Präsidentenwahl nicht als legitim anzuerkennen" und die Beziehungen zu Putin auf Fragen zu beschränken, die "für regionalen Frieden sowie humanitäre und menschenrechtliche Zwecke notwendig sind".

Auch diese Entschließung des Europäischen Parlaments ist nicht bindend und hat daher keine unmittelbaren Konsequenzen. Denn die EU-Außenpolitik fällt in die Zuständigkeit des Europäischen Rates, in dem diese Fragen von den Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten nach dem Prinzip der Einstimmigkeit entschieden werden.

Die Entschließung des Europäischen Parlaments verpflichte zwar auf rechtlicher Ebene nicht dazu, Putin zu einem illegitimen Präsidenten zu erklären, sagt Ionela Maria Ciolan vom Wilfried Martens Centre for European Studies in Brüssel. "Allerdings hat sie eine starke symbolische und indirekte Wirkung, da sie als Empfehlung an den Rat fungiert und eine Botschaft an die Regierungen in ganz Europa sendet, dass Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum diese Sicht unterstützen", so die Expertin für Außenpolitik.

Weiterhin Kontakt zu Putin als "Machthaber"

In den internationalen Beziehungen gibt es kein klares Verfahren, wie ein Oberhaupt eines ausländischen Staates für illegitim erklärt werden kann. Hierzu genügt lediglich eine entsprechende Erklärung von offizieller Seite eines Staates. "Aber andererseits hat niemand dazu aufgerufen, ihn nicht anzuerkennen und Botschafter aus Moskau abzuziehen", sagt Gustav Gressel, Experte beim European Council on Foreign Relations.

Gleichzeitig habe aber niemand Putin wirklich zu den "Wahlen" gratuliert oder diesen Betrug akzeptiert, sagt Gressel. Nur der ungarische Premierminister Viktor Orban beeilte sich, Putin zu gratulieren, wofür er vom Europäischen Parlament kritisiert wurde. Denn dort ist man der Ansicht, dass Orban "die Solidarität mit der EU verletzt", indem er diese "fiktive Wiederwahl" anerkenne.

Gebäude des Europäischen Parlaments in Straßburg. Vor dem Gebäude wehen einige Fahnen der EU-Mitgliedsstaaten und die Europaflagge.
Gebäude des Europäischen Parlaments in StraßburgBild: picture alliance /

"Formell wird Putin als 'Machthaber' gelten, wie Alexander Lukaschenko in Belarus", betont Gressel. Aber seiner Meinung nach werden die europäischen Länder "aus dem einen oder anderen Grund den Kontakt zur jetzigen Führung der Russischen Föderation aufrechterhalten".

"Die EU braucht Kommunikationskanäle zum Kreml"

Putin zum illegitimen Führer zu erklären, wäre ein strategischer Fehler der EU mit irreversiblen Folgen für die geopolitischen Ziele Brüssels sowie für künftige Entscheidungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine -  davon ist Roger Hilton vom slowakischen Analysezentrum GLOBSEC überzeugt. "Jeder kann zustimmen, dass Putin ein verabscheuungswürdiger Mensch ist, dessen Legitimität als russischer Präsident auf Korruption und Betrug beruht. Dennoch kann die EU nicht selektiv auswählen, mit wem sie Geschäftsbeziehungen pflegt und mit wem nicht", so Hilton.

Außerdem würde eine Entscheidung, Putin nicht als Präsidenten der Russischen Föderation anzuerkennen, "die Fähigkeit der EU, über die Frage der ukrainischen Sicherheit und Stabilität auf dem Kontinent zu verhandeln und sie voranzutreiben, erheblich beeinträchtigen. Wenn die Zeit für Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine kommt, mit wem wird es Brüssel dann zu tun haben?", unterstreicht Hilton und fügt hinzu: "Die EU sollte Putins Vorgehen in der Ukraine weiterhin verurteilen und die Europäer und die Welt daran erinnern, dass die jüngsten Wahlergebnisse in Russland zwar unrechtmäßig waren, aber keinen Abbruch der bürokratischen Beziehungen zu Moskau darstellen."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk